Wer an Demenz erkrankt, braucht viel Zuwendung. Durch die Pflegereform mit neuen "Pflegegraden" sind Demenzkranke künftig besser gestellt. Doch profitieren auch Altenheime von der neuen Entwicklung? Für viele Bewohner ist das Heim ein Ort zum Wohlfühlen. Zuhause könnten sie nicht annähernd so gut betreut und gepflegt werden. Ein Besuch im Regensburger Marienheim verdeutlicht dies. Das Caritas-Haus hat sich auf die Betreuung Demenzkranker spezialisiert.
„Cafébetreiberin“ Patricia Schmidt hilft auch, wenn Bewohner nicht mehr selbstständig trinken können.kutz/burcom
Eine ältere Dame rührt Milch in ihren Kaffee und greift nach einem Stück Marmorkuchen. Um sie herum wird erzählt, gelacht und nachgedacht. Es ist ein warmer Spätsommertag und die Sonne scheint ins hell gestrichene Zimmer. An der Wand hängen zahlreiche Portraitbilder. In der Ecke steht eine Theke. Die Szene könnte wohl auch in einem Straßencafé spielen. Doch etwas ist anders. "Auf seinen Schultern bin ich als Kind gesessen und er hat mir immer Witze erzählt." Die ältere Dame deutet dabei mit dem Finger auf eines der Bilder. Es zeigt Elvis Presley. Die Dame ist an Demenz erkrankt und lebt in ihrer eigenen Welt. Diese ist seit knapp drei Jahren das Caritas Alten- und Pflegeheim Marienheim in Regensburg. Im Marienheim wohnen 47 Senioren, fast alle sind in unterschiedlichen Stadien an Demenz erkrankt. Anfang des Jahres richteten die Mitarbeiter des Hauses das "Café zur blauen Lilie" ein. Es befindet sich im Erdgeschoss, am Ende eines langen Ganges, und ist ein wichtiger Baustein in der Betreuung von demenzkranken Bewohnern.
Mehr Geld für Pflege und Demenzkranke
Guter Kaffee, köstlicher Kuchen und die Wände mit Bildern aus alten Zeiten geschmückt: Das Café zur blauen Lilie ist ein beliebter Anlaufpunkt der Hausbewohner. Patricia Schmidt (stehend links) hatte die Idee hierzu.kutz/burcom
Im fernen Berlin arbeiten zur gleichen Zeit Politiker und Experten an einem anderen Projekt, das ebenfalls demenzkranken Menschen helfen soll. Es heißt Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) und soll Anfang 2017 in Kraft treten. Mit diesem Gesetz wird künftig deutlich mehr Geld in die Pflege investiert: Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung steigt in zwei Schritten insgesamt um 0,5 Prozent auf 2,55 Prozent. Für die stationäre und ambulante Pflege stehen damit fünf Milliarden Euro pro Jahr mehr zur Verfügung. Aktuell liegen die Leistungsausgaben bei rund 25 Milliarden jährlich. "Es ist ein wichtiges Zeichen von Wertschätzung für die Pflege, dass deutlich mehr Geld ins System fließt", sagt Dr. Robert Seitz vom Diözesan-Caritasverband Regensburg. Zentraler Punkt des PSG II ist der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Darin findet Demenz eine bessere Beachtung. Bisher war die Definition von Pflegebedürftigkeit nur verrichtungsbezogen, ausgerichtet auf die körperlichen Beeinträchtigungen des Pflegebedürftigen. Künftig stehen bei der Beurteilung von Pflegebedürftigkeit die individuellen Ressourcen und der Grad an Selbstständigkeit im Fokus. "Die neue, umfassendere Perspektive ist begrüßenswert, vor allem mit Blick auf Demenz. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff führt zu zusätzlich etwa 500 000 Anspruchsberechtigten", so Seitz weiter. Die bisherigen vier Pflegestufen werden durch fünf Pflegegrade ersetzt. Dadurch kann noch individueller auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen Rücksicht genommen werden.
Mit dem Café kommen Erinnerungen wieder
Das Café wirkt wie aus einer anderen Zeit: Patricia Schmidt hinter der antiken Kuchentheke.kutz/burcom
Die Bewohner im Marienheim bekommen von all den Veränderungen nichts mit. Ein älterer Herr räumt gerade die Stühle im Gang auf. Er stapelt sie aufeinander oder hängt sie an das Treppengeländer. "Er hat früher gelernt, dass man Stühle aufräumen muss. Und wenn er das machen möchte, dann lassen wir ihn auch", sagt Heimleiterin Silvia Haseneder. Die Verantwortlichen und Pflegefachkräfte des Marienheims lassen die Bewohner in ihrer eigenen Welt leben. "Das ist unsere Philosophie: Lasst sie machen! Wir räumen erst später wieder alles auf und sorgen dafür, dass sich niemand verletzt", so Haseneder weiter.
Auch die alte Dame in der "Blauen Lilie" lebt in ihrer eigenen Welt. Sie hat sich zwischenzeitlich an die Theke begeben und fragt nach einem weiteren Stück Kuchen. Hinter der Theke steht Patricia Schmidt, Pflegefachkraft und "Cafébetreiberin". Sie hatte die Idee, für die Bewohner einen Ort zu schaffen, den alle kennen und an dem Erinnerungen wieder wach werden können. "Unsere Bewohner lebten in einer Zeit, wo keine Schulden gemacht wurden, wo Lebensmittel und Luxus rar waren. Dennoch fanden sie Orte zur Geselligkeit. Das waren eben die Wirtshäuser, Cafés oder Tanzhäuser", sagt Schmidt. Das gesamte Pflegeteam sammelte Spenden, um einen alten Besprechungsraum in ein schmuckes Café-Stübchen zu verwandeln. "Wir hatten nicht viel Geld, aber das Teamwork funktionierte perfekt", so Heimleiterin Silvia Haseneder. Im Marienheim wurden auf Initiative der Mitarbeitenden bereits zahlreiche andere Projekte umgesetzt: Gemeinschaftsräume wurden renoviert und zur besseren Orientierung wurden die Stockwerke mit Wandbemalung versehen. Spezielle Sitzmöbel für Menschen mit Demenz laden zum Wohlfühlen ein. Das Altenheim ist baulich von hohen Mauern und Häusern umgeben und verfügt über einen 3000 Quadratmeter großen Garten. "Das sind perfekte Bedingungen für unsere besonderen Bewohner. Sie leben hier in einer eigenen, aber schönen und wohlbehüteten Welt mitten in der Stadt", so Haseneder.
Unterm Strich weniger Geld für die Altenheime!
Heimleiterin Silvia Haseneder (Bildmitte) freut sich über die gute Annahme des Cafés durch ihre Bewohner. Sie schaut beinahe täglich hier vorbei und unterhält sich mit den Bewohnern.kutz/burcom
Die Gesetzesänderungen in Berlin verfolgt Haseneder genau. Prinzipiell begrüßt sie die Neuerungen, da nun mehr Geld für Pflegebedürftige und Demenzkranke im Speziellen bereit steht. Doch gefördert wird vor allem die ambulante Pflege in Kombination mit Tagespflege. Dort ist für einen Pflegebedürftigen der Anspruch aus der Sozialversicherung deutlich höher ist als im Alten- und Pflegeheim; für Schwer- und Schwerstpflegebedürftige sogar doppelt so hoch. Das kann Haseneder ebenso wenig verstehen wie der studierte Ökonom Seitz: "Volkswirtschaftlich ist die Pflegereform in diesem Punkt nicht zu Ende gedacht." Im Schnitt werden Altenheime wohl verlieren, insbesondere bei niedrigerer Pflegebedürftigkeit. So zahlt die Pflegeversicherung ab 2017 für Versicherte in Pflegegrad Zwei ohne Demenz nur noch 770 statt bisher 1.064 Euro in Pflegestufe I, also 30 Prozent weniger. Die Heimbewohner müssen sich dann auf eine noch höhere Zuzahlung für die Pflege einstellen. Diese fällt allerdings unabhängig vom Pflegegrad für alle gleich aus. Insgesamt ist zu befürchten, dass sich der ohnehin schon massive Wettbewerb in der Pflege weiter verschärft. "Die Caritas wird sich als tarifgebundener Träger auch künftig gegen Lohn- und Qualitätsdumping in der Altenhilfe wehren", betont Seitz. Der Caritasverband setzt weiterhin auf sein bewährtes Angebotsspektrum, von der ambulanten Pflege über das betreute Wohnen bis hin zur vollstationären Pflege mit eingestreuter Tages- und Kurzzeitpflege. Und das Ziel bleibt dasselbe wie auch schon vor der Pflegereform: Seniorinnen und Senioren, demenzkrank oder nicht, helfen, ob nun mit einem neuen Gesetz oder einem neuen Café.
Zusatzinfo:
Das Gebäude des Marienheims in Regensburg wurde bereits 1897 als Altenheim konzipiert, damals als letztes Zuhause für Pfarrhaushälterinnen in Trägerschaft des Marienvereins. Zahlreiche Um- und Neubauten machen das Haus heute zu einem Kleinod mit großen Garten- und Freiflächen in der Ostnerwacht. Von 2003 bis 2004 wurde es nach den Vorgaben der Heimmindestbauverordnung modernisiert. Das Marienheim bietet Platz für 47 Bewohner mit gerontopsychiatrischen Veränderungen, speziell auch mit "Hinlauftendenz". Diese werden von ausgebildeten Pflegekräften rund um die Uhr betreut. Das Marienheim befindet sich in der Trägerschaft des Diözesan-Caritasverbandes Regensburg.